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About Bogilvy

Jonathan Bogerl, Halbjude, geb. 1895 in Berlin, beginnt 1909 eine

Ausbildung zum Schneider beim Schneidermeister und Stoffhändler Ivo Pflug, der sein Ladengeschäft in der Friedrichstraße in der Nähe des Bahnhofs betreibt. Kunden sind u.a. George Grosz, Helmut Herzfeld (später John Heartfield), Richard Huelsenbeck und Johannes Baader, der harte Kern des Berliner Dadaismus.

Jonathan Bogerl kommt mit den illustren Kunden ins Gespräch und begeistert sich für die Ideologie und den augenzwinkernden Witz des Dadaismus, der gefestigte Ideale und Normen in Frage stellt, den „totalen Zweifel an allem“ und den „absoluten Individualismus“ propagiert. Animiert durch die Kunden der Schneiderei Pflug besucht der junge Jonathan Bogerl sogenannte Dada-Messen. Er versucht die Eindrücke zu verarbeiten und startet erste eigene Dada-Versuche in Form von Texten und Stoff-Collagen.

Auf einer Dada-Messe lernt er die jüdische Künstlerin Dana Honigmann kennen und verliebt sich in sie. Seine Liebe bleibt vorerst unerwidert.

Experimente mit Applikationen aus Stoffresten im Geiste des Dadaismus werden von Ivo Pflug untersagt. Gleiches gilt für die in „Dada-Typografie“ erstellten Werbeplakate für das Angebot der Schneiderei Pflug.

Die Jahre vergehen. Jonathan kratzt sein Erspartes zusammen und eröffnet seine eigene Schneiderei inkl. eines kleinen Ladengeschäftes in Schöneberg. Seine Maßanfertigungen, von denen durch den spielerischen Umgang mit kleinen Details kein Teil dem anderen gleicht, wissen bereits seine Kunden bei der Schneiderei Pflug zu schätzen und folgen ihm. Das gilt insbesondere für die Künstler, zu denen er weiterhin engen Kontakt hält. Innerhalb kurzer Zeit hat er sich einen sehr guten Ruf erschneidert.

Mitte der 20er Jahre erweitert Jonathan Bogerl sein Angebot um Damenoberbekleidung. Die Sortimentserweiterung sollte sich in mehrfacher Hinsicht auszahlen. Denn neben einer Vielzahl begeisterter Kundinnen, betritt eines Tages auch Dana Honigmann sein Ladengeschäft und lässt sich ein Kleid schneidern. Diesmal funkt es zwischen den beiden und sie werden ein Paar.  Bereits ein Jahr später heirateten sie und Dana unterstützt ihren Mann in seinem Geschäft nach Kräften, allerdings ohne ihre künstlerischen Aktivitäten zu vernachlässigen.

Nachdem der „Dadaismus“ wegen seines zu großen Erfolges von den maßgeblichen Protagonisten selbst für tot erklärt wird um die sich festigenden Strukturen wieder aufzubrechen, sind es nun die Vertreter des Konstruktivismus wie Baumeister und Mondrian oder des Bauhauses wie Gropius, Muche oder Schlemmer die Dana und somit auch ihren Mann inspirieren.

Wer die Schneiderei Bogerl besucht, kommt zugleich in den Genuss einer wechselnden Ausstellung, die von Dana regelmäßig mit eigenen aber auch Werken befreundeter Künstler bestückt wird. Und natürlich werden die Werke auch verkauft, wenn jemand Interesse hat. Diese Mischung aus Schneiderei und Galerie ist in der damaligen Zeit mehr als außergewöhnlich.

Nach der Machtergreifung der Nazis im Januar 1933 ist für das Ehepaar Bogerl, wie auch für eine Vielzahl ihrer Freunde sehr schnell klar, dass sie in diesem Deutschland keine Zukunft mehr haben würden. Schweren Herzens werden die Schneiderei und das Ladengeschäft verkauft und Pläne für eine zeitnahe Auswanderung geschmiedet. Das Ziel: Die USA, das sonnige Kalifornien, die Filmstadt Los Angeles. Daran ändert auch das Erdbeben in Los Angeles im März desselben Jahres nichts.

Im Herbst 1933 besteigen Jonathan und Dana Bogerl im Bahnhof Friedrichstraße mit großem Gepäck, inkl. ihrer größten Kunstschätze der vergangenen Jahre den Zug nach Bremerhaven. In Bremerhaven angekommen, geht es weiter auf das Passagierschiff „Bremen“, das Sie mit vielen anderen Auswanderern nach New York bringt. Im 6. Monat schwanger, ist die Reise vor allem für Dana eine Strapaze.  

Endlich wieder festen Boden unter den Füßen, geht es weiter mit dem Zug nach Los Angeles ins sommerliche Kalifornien. Nach insgesamt 16 Tagen haben die Bogerl`s ihre neue Heimat erreicht.

In Los Angeles sind die Spuren des Erdbebens aus dem März des Jahres noch überall deutlich zu sehen. Dennoch herrscht Aufbruchstimmung und die Menschen freuen sich über jeden, der bereit ist mit anzupacken und seinen Teil zur Wiederauferstehung Los Angeles beizutragen.

Nachdem die Bogerl`s eine kleine Wohnung gefunden haben, macht sich Jonathan Bogerl sofort auf die Suche nach geeigneten Geschäftsräumen. Er findet sie in einer kleinen Geschäftsstraße in Long Beach. Bereits im Januar 1934 eröffnet er seine Schneiderei. Zu seinem Angebot gehören maßgeschneiderte Damen – und Herrenoberbekleidung in luftigen, sommerlichen Stoffen. Seine Liebe zum individuellen Detail eines jeden Stückes behält er bei. Unikate zu schaffen, ist sein Anspruch. Dieser Anspruch wird später insbesondere von den Schauspielern Hollywoods gewürdigt.

Ärger gibt es bei der Einrichtung des Ladens, da die „Hollister Co.“, u.a. Lieferant handgefertigter Möbel, nicht pünktlich und dann noch fehlerhaft liefert. Die Wege der Unternehmen sollten sich noch häufiger kreuzen.

Im Januar wird der Sohn der Bogerl`s geboren. Auch zu Ehren ihrer neuen Heimat bekommt er den Namen „John“.

Die Qualität und Individualität des Angebots spricht sich auch über die Grenzen von Long Beach hinaus schnell herum, so dass Jonathan in kurzer Abfolge erst einen dann zwei und bereits 1935 fünf Angestellte beschäftigt. Seine Angestellten arbeiteten gerne für ihn, da er auch vor dem Hintergrund des stadtweiten Streiks der Schneider im Oktober 1933 gegen „Ausbeuterbetriebe“ seine Mitarbeiter ausgesprochen fair behandelt und am Erfolg des kleinen Unternehmens teilhaben lässt.

In Deutschland und über die Landesgrenzen hinaus tobt derweil der Nazi-Mob und sorgt auch in den USA für eine zunehmende Diskreditierung des deutschen Volkes. Alles was Deutsch klingt, ist zumindest verdächtig aber bestimmt nicht verkaufsfördernd.

So entscheidet sich die Familie Bogerl eines Tages ihrer erfolgreichen Integration auch in ihrem Familiennamen Ausdruck zu verleihen und sich zugleich von den Machenschaften der Nazis zu distanzieren.

Namenspatin ist die kleine, hübsche Nachbarstochter „Ilvy“ die Dana Bogerl immer wieder in Verzückung versetzt. So werden ganz einfach die Buchstaben „erl“ durch „ilvy“ ersetzt: „Bogilvy“.

Das Unternehmen ist zwischenzeitlich weiter gewachsen und aus Raumnot umgezogen. Neben den nach wie vor gefragten Maßanfertigungen, entwirft Jonathan Bogilvy unter seinem Namen und mit der Unterstützung seiner Frau Dana nun auch erste Konfektionsware aus exquisiten Stoffen, deren Produktion er auslagert.

Die Entscheidung, nun auch Konfektionsware zu fertigen, fällt ihm nicht leicht, da diese Standardisierung von Stoffen, Schnitten und Ausstattungen nur schwer mit seinem Anspruch in Einklang zu bringen ist. Die Nachfrage ist aber einfach zu groß um ihr auf eine andere Weise gerecht werden zu können. Und Maßanfertigungen bleiben schließlich im Angebot.

Anfang der 50er Jahre ist aus der Schneiderei nach einem nochmaligen Umzug ein exklusives Fachgeschäft für Herren- und Damenoberbekleidung geworden, das sich vor allem in Schauspielerkreisen größter Beliebtheit erfreut.

Anfragen von anderen Modegeschäften und -kaufhäusern kommen zwischenzeitlich nicht nur aus Kalifornien, sondern aus dem ganzen Land. Nur zögerlich und sehr selektiv wählt Jonathan die Häuser aus, die Bogilvy führen und verkaufen dürfen. Parallel werden sowohl die Kollektion als auch die Produktionskapazitäten sukzessive erweitert. Dana Bogilvy entwickelt sich mehr und mehr von einer Künstlerin zu einer Modedesignerin mit einem feinen Gespür für verkaufbare Extravaganzen.

Die Bogilvys haben es geschafft. Ein Haus am Strand, zwei Autos vor der Tür und nur die besten Schulen für Ihren Sohn John. Der amerikanische Traum ist für den Schneider aus Deutschland Wirklichkeit geworden.

John Bogilvy absolviert die Highschool mit Bravour, studiert Wirtschafts- und Politikwissenschaften in Harvard und will zum Leidwesen seiner Eltern schon recht frühzeitig nichts vom elterlichen Unternehmen wissen. Er hat andere Pläne, will in die Politik und geht nach Abschluss seines Studiums nach Washington.

Mit ihm nach Washington geht seine Kommilitonin und Freundin Sarah Miller, die ihr Studium in Washington beendete und die er 1960 heiratet. 

In den 50er Jahren wird die Mode lässiger. Auch Bogilvy verschließt sich dieser durch den aufkommenden Surfsport, den Rock ´n´ Roll, Baseball und den College-Look beeinflussten Freizeitkleidung nicht und entwirft eine sportliche Freizeit-Kollektion für die Dame und den Herren, indem er den Surfer-Style mit dem College-Look kombiniert. Auch diese Kollektion schlägt ein wie eine Bombe und sollte den Weg für eine Vielzahl von Nachahmern bereiten.

Die Maßanfertigung gibt Jonathan Bogilvy schweren Herzens Ende der 50er Jahre auf, da die Nachfrage einfach zu stark gesunken ist. Gefragt sind nun zunehmend „Designer-Kollektionen“.

Einer der begeisterten Bogilvy-Kunden ist John M. Hollister Jr., der Sohn des Firmengründers der Hollister Co. Er liebt das klassische Bogilvy-Angebot in gleichem Maße, wie den Bogilvy-Leasure-Look. Er erkennt aber vor allem das geschäftliche Potenzial der Freizeitkleidung, auch weil sie deutlich einfacher und günstiger zu produzieren ist, als das klassische Angebot.

Mit der Übernahme des elterlichen Unternehmens beginnt John M. Hollister Jr. 1957 das ursprüngliche Angebot der Hollister Co. umzukrempeln. Möbel und Kleinkunst aus dem pazifischen Raum werden durch Surfzubehör und Surfkleidung mit seinem Namen ersetzt. Schmuck und Bettwäsche bleiben vorerst im Programm.

Die Surfkleidung hat dabei eine frappierende Ähnlichkeit mit der Bogilvy-Freizeitlinie. Schnitte und Farben werden kopiert und der Bogilvy-Schriftzug als prägendes Design-Element einfach durch einen Hollister-Schriftzug ersetzt. Aber es bleiben schlechte Kopien, da nur minderwertige Stoffe verwendet werden. Dennoch ist Jonathan Bogilvy außer sich als er die dreisten Kopien entdeckt, scheitert allerdings mit seinem Versuch rechtlich gegen das offensichtliche Plagiat vorzugehen.

Sarah Bogilvy bringt im Januar 1963 ihren Sohn Jim zur Welt. Bereits zu dieser Zeit hat ihr Mann John die ersten Sprossen seiner Karriereleiter erklommen und ist viel unterwegs. Noch in den USA, bald in der ganzen Welt.

Ein letztmaliger Versuch Jonathan Bogilvys seinen Sohn zu motivieren, das Familienunternehmen zu übernehmen und seine Nachfolge anzutreten scheitert. 1970 verkauft Jonathan Bogilvy altersbedingt 80% seiner Unternehmensanteile an seine damaligen Geschäftsführer. Die verbleibenden 20% teilt er sich mit seiner Frau Dana.

Trotz der großen Entfernung baut Jonathan zu seinem Enkel Jim ein innigliches Verhältnis auf. Jim verbringt viele Ferienwochen im Jahr bei seinen Großeltern, die sich viel Zeit für ihren Enkel nehmen, vor allem nach dem Verkauf des Unternehmens.

Jim hat offensichtlich das zeichnerische Talent seiner Großmutter Dana geerbt und beginnt bereits frühzeitig zu zeichnen und zu malen. Besonders faszinieren ihn die Bilder und Skulpturen unterschiedlichster Epochen im Hause der Großeltern, die über die Jahre zu einer veritablen Kunstsammlung angewachsen sind.

Als Jim 12 Jahre alt wird, überraschen ihn seine Eltern mit der Nachricht, dass die Familie für 2 Jahre nach Buenos Aires geht. Vater John hat einen Job in der US-amerikanischen Botschaft angenommen. Die Besuche bei den Großeltern werden zum großen Verdruss des Jungens nun deutlich seltener.

Jim besucht in Buenos Aires die Diplomaten-Schule, lernt spanisch, fiebert aber vom ersten Tag an seiner Rückkehr in die USA entgegen. Doch daraus wird nichts. Denn noch während seiner Zeit in Buenos Aires bekommt Vater John Bogilvy das unbefristete Angebot nach Berlin zu gehen. Um genau zu sein, nach West-Berlin. Vater John ist aufgrund der außergewöhnlichen geografischen Lage der Stadt begeistert und willigt nach Rücksprache mit seiner Frau Sarah ein. Zudem ist ihm natürlich sehr bewusst, dass Berlin die Heimat seiner Eltern ist.

Für Jim bricht eine Welt zusammen. Noch weiter weg von der Heimat und den geliebten Großeltern. Die Großeltern sind es aber, die es schaffen Jim neugierig zu machen. Neugierig auf die Heimat der Großeltern, die sie vor so vielen Jahren verlassen mussten, neugierig auf die Orte, wo die Großeltern lebten, neugierig auf eine Stadt, die von einer Mauer umgeben ist.

1977 zieht Familie Bogilvy nach Berlin-Zehlendorf umgeben von Landsleuten, die in der Stadt stationiert oder ebenfalls bei der amerikanischen Botschaft beschäftigt sind. Jim geht zur internationalen Schule, der John F. Kennedy-Schule und findet schnell Freunde der unterschiedlichsten Herkunft, häufig aus Diplomatenfamilien. Und bereits an seinem ersten Schultag hat es ihm eine Klassenkameradin besonders angetan: Grit de Baar, einzige Tochter eines holländischen Künstler-Ehepaars aus Amsterdam, wie sich später herausstellen sollte.

Bis die beiden ein Paar werden, sollte ein gutes Jahr vergehen. Aber von diesem Tag an waren sie unzertrennlich. Wir schreiben den 10.1.79.

Grits Eltern betreiben eine Galerie in Berlin mit ihren eigenen Werken und Jim fühlt sich sofort heimisch, da er auf eine wohlige Art an seine Großeltern erinnert wird. Grits Eltern sprechen mit genau der gleichen Detailverliebtheit über die Werke an den Wänden ihrer Galerie, wie seine Großeltern. Jedes Bild hat seine eigene, sehr persönliche, emotionale Geschichte. Ja man konnte sich gar nicht vorstellen, dass sie die auf Leinwände gebannten Lebensstückchen so ohne weiteres veräußern würden können.

Gemeinsam mit Grit macht sich Jim auf die Suche nach den Spuren seiner Großeltern. Von ihnen hatte er sowohl die Adresse in Schöneberg, als auch die Adresse in Berlin-Mitte bekommen. Zur Münchner Straße nach Schöneberg zu gelangen, ist kein Problem. Das Ladengeschäft existiert noch, jedoch beherbergt es zwischenzeitlich eine Kindertagesstätte, einen sogenannten „Elterninitiativ-Kinderladen“. Dennoch ist es für Jim ein hochemotionaler Moment zu seinen Wurzeln zurückzukehren.

Um nach Berlin-Mitte zu gelangen, müssen Jim und Grit die Grenze nach Ostberlin passieren. Sie wählen den Grenzübergang Bahnhof Friedrichstraße, den Bahnhof, den seine Großeltern 1933 als Tor für ihre Reise in eine andere Welt nutzten. Hier betraten sie letztmalig Berliner Boden. Und gleich um die Ecke hatte der Großvater seine Ausbildung zum Schneider absolviert.

Das Haus in dem Jonathan Bogilvy seine Ausbildung genossen hatte, stand nicht mehr. Es war dem finalen Bombenhagel des 2. Weltkrieges zum Opfer gefallen und durch Neubauten mit dem typischen sozialistischen Charme ersetzt worden. Die Enttäuschung wird aber durch einen Besuch der Museumsinsel gelindert. Jim und Grit sind begeistert über das, was sie dort sehen und beschließen ein weiteres Mal die Museumsinsel zu besuchen.

Es sollten viele Besuche des anderen Berlins jenseits der Mauer folgen. Zudem entdecken Jim und Grit das kulturelle Angebot im Westen der Stadt, besuchen Ausstellungen, Museen und Konzerte. Sie tauchen ein in die Subkultur der Stadt und Jim berichtet mit wachsender Begeisterung seinen Großeltern, was er in ihrer Heimatstadt alles entdeckt und erlebt. Telefonisch, in langen Briefen und während der nun sehr seltenen Besuche in Los Angeles. Er ist mit Leib und Seele zu einem Berliner geworden.

Nach dem gemeinsamen Schulabschluss beginnt Jim ein Design- und Modedesignstudium an einer renommierten Hochschule in Berlin. Grit wendet sich den bildenden Künsten zu, um später Kulturmanagement zu studieren. Jims Vater wird aus Berlin abberufen und zieht mit seiner Frau Sarah zurück in die USA. Jim bleibt in Berlin um sein Studium zu beenden.

Im letzten Jahr seines Studiums stirbt seine Großmutter und nur kurz darauf auch Jonathan Bogilvy. Aufgrund des Desinteresses seines Vaters am Familienunternehmen erbt Jim die verbleibenden Unternehmensanteile unter der Voraussetzung, dass er nach seinem Studium in die USA zurückkehrt. Für Jim steht außer Frage, dass er sein Erbe antreten wird und im Anschluss seines Studiums nach Los Angeles zieht.

Sehr bald wird klar, dass Grit ihn nicht begleiten kann. Schon lange steht eine stillschweigende Übereinkunft mit ihren Eltern im Raum die besagt, dass Grit im Anschluss ihres Studiums die Eltern in der Galerie unterstützen wird. Jim und Grit genießen die letzten gemeinsamen Monate bis sich Jim nach erfolgreichen Abschlussprüfungen im Spätsommer des Jahres 1989 aus Berlin und von Grit verabschiedet. Als Abschiedsgeschenk bekommt Jim von Grits Eltern eines ihrer Gemälde geschenkt. Das Motiv: Grit.

Im November 1989 fällt die Mauer und Jim verfolgt das Freudenfest voller Wehmut aus der Ferne. Zu gerne wäre er jetzt in Berlin. Zu gerne wäre er mittendrin gewesen. Gemeinsam mit Grit.

Die Beziehung zwischen den beiden wird offiziell nie beendet. Doch die langen Telefonate werden im Laufe der Zeit immer seltener und schlafen irgendwann ganz ein.

Jim findet in Los Angeles ein Unternehmen vor, dass aufgrund von Missmanagement, vor allem aber aus Mangel an Kreativität und Inspiration die besten Jahre hinter sich hat. Er überwirft sich nach wenigen Jahren mit den beiden anderen Gesellschaftern und verkauft ihnen seine Anteile. Die Marke „Bogilvy“ bleibt nach einem sich anschließenden Rechtsstreit im Besitz des Unternehmens.

Jim Bogilvy gründet mit dem Startkapital aus dem Anteilsverkauf sein eigenes Unternehmen, das er in Erinnerung an seinen Großvater „Jim & Jonathan“ nennt. Er entwirft urbane Leisure-Outfits, die zuerst die Surfer-Community adressieren. Neben einem eher klassischen Design mit Liebe zum Detail, setzt er dabei auf beste Stoffqualität auch um sich von Wettbewerbern wie Hollister abzugrenzen.

Und wie schon sein Großvater an gleicher Stelle, hat Jim mit seinem Unternehmen durchschlagenden Erfolg. Innerhalb nur weniger Jahre wird „Jim & Jonathan“ zu einer der erfolgreichsten Marken, nicht nur bei den Surfern.

Jim genießt das Leben im sonnigen Kalifornien in vollen Zügen und ist ein gern gesehener Partygast. Erst die Hochzeit mit dem 10 Jahre jüngeren Modell Nancy Wright lässt ihn ein wenig ruhiger werden. Er ist ein gemachter Mann.

Mit zunehmendem Entsetzen muss er jedoch den Niedergang des von seinem Großvater gegründeten Unternehmens mit ansehen. Hollister Co. spielt dabei eine fragwürdige Rolle und zieht im Hintergrund die Strippen. Was genau geschieht, bleibt bis zum heutigen Tag im Dunkeln. Fest steht aber, dass Hollister Co. das Unternehmen „Bogilvy“ kurz vor dem Zusammenbruch für einen Spotpreis übernimmt. Jonathan Bogilvy drehte sich vermutlich im Grabe um.

Die Marke Bogilvy wird vorerst mit dem Zusatz „by Hollister“ fortgeführt. Sie verschwindet aber zusehends und wird 2002 offiziell eingestellt.

Jim Bogilvy hat mit Hollister Co. jetzt nicht nur einen Wettbewerber, sondern ein Feindbild an dem er sich abarbeiten kann. Er ist besessen davon, Hollister vom Markt zu verdrängen. Immer wieder exzellente Kollektionen, zwischenzeitlich kreiert durch die besten Designer des Landes, und eine ausgeklügelte Vertriebsstrategie tragen dazu bei, dass Jim & Jonathan dem Unternehmen Hollister Co. Jahr für Jahr Marktanteile abnimmt.

2008 wird zu Jims Schicksalsjahr. Auch wenn er nie eine besonders enge Bindung zu seinen Eltern hatte, traf ihn ihr Tod wie der Schlag. John und Sarah Bogilvy verunglücken tödlich auf der „California State Route 1“ (dem Highway 1) mit ihrem Auto. Sie sind auf dem Weg zu ihm. 

Mit diesem Tag stellt Jim Bogilvy sein Leben in Frage. Er trennt sich von seiner Frau, mit deren Oberflächlichkeit und Egomanie er bereits viele Jahre größte Probleme hat. Er nimmt sich eine Auszeit von 6 Monaten und übergibt die Geschäfte für diese Zeit an seinen verdienten Geschäftsführer. Lediglich die Abstimmung der folgenden Kollektion erfolgt online über seinen Tisch.

Er bereist die Welt um Abstand zu gewinnen. Ganz auf sich gestellt reist er mit dem Rucksack durch Asien und besucht im Anschluss Berliner Schulfreunde in Südamerika. In Brasilien feiert er Karneval und saugt die Lebensfreude der Menschen in sich auf. In Europa tourt er durch die Museen der Hauptstädte. Kultur pur.

Berlin hat er sich als letzte Station, quasi als krönenden Abschluss seiner Weltreise aufgehoben. Hier will er 2 Wochen verbringen und das neue Berlin erkunden. Mit feuchten Händen und voller Vorfreude entsteigt er in Tegel der Air France Maschine aus Paris und bereits die Fahrt mit dem Taxi am Brandenburger Tor vorbei ins Hotel wird für ihn zum Erlebnis. Stand hier nicht die Mauer?

Natürlich hat Jim im Vorfeld seines Berlin-Besuchs online nach seiner Jugendliebe Grit de Baar gesucht. Lebt sie noch in Berlin? Heißt sie überhaupt noch de Baar? Oder hat sie nach einer Heirat den Namen ihres Mannes angenommen? Was macht sie?

Ein Eintrag im Telefonbuch ist nicht zu finden. Aber eine Galerie de Baar, an einem anderen, als dem ihm bekannten Standort und leider ohne Online-Auftritt, dennoch eine vielversprechende Spur. Anrufen will Jim in der Galerie jedoch nicht. Deshalb setzt er sich nach einigen Tagen des Sightseeings in ein Taxi und lässt sich zur Galerie de Baar bringen.

Sein Herz schlägt bis zum Hals, als er aus dem Taxi steigt. Nicht direkt vor der Tür, sondern ein paar Häuser weiter. Unsicher geht vor dem Schaufenster auf und ab und wirft verstohlene Blicke in das Innere der Galerie. Es ist niemand zu sehen. Er hat gerade all seinen Mut zusammengenommen und will die Tür aufdrücken, als er von hinten angesprochen wird. „Einen Moment bitte, ich öffne Ihnen die Tür.“ Er blickt zur Seite und sieht eine blonde, schlanke und ausgesprochen attraktive Frau mittleren Alters mit einem Schlüssel in der Hand. Grit!

Sie betreten gemeinsam die Galerie und erst jetzt erkennt auch Grit ihre Jugendliebe. Ohne Worte fallen sie sich in die Arme.

Grit hat nach dem Tod ihrer Eltern die Galerie übernommen und Ausstellungen für eine Vielzahl nationaler und internationaler Künstler in ihren Räumlichkeiten kuratiert. Zudem hat sie einzelne, vor allem Berliner Künstler unter Vertrag, für die sie Ausstellungen in anderen, überwiegend europäischen Städten organisiert und deren Bilder sie verkauft. 

Um ein wenig mehr Platz zu haben, schaut sich Grit de Baar vor einigen Jahren nach neuen Räumlichkeiten um. Ein Angebot ist für sie besonders interessant. Nicht nur aufgrund der Größe und des Zustandes der Fläche, nicht nur aufgrund der tollen Lage, sondern vor allem aufgrund der für sie geradezu magischen Postleitzahl: 10179. Denn sie steht für den Tag, an dem sie und Jim sich das erste Mal küssten: am 10.1.79.

Die Postleitzahl 10179 bringt ihr das erhoffte Glück. Zumindest geschäftlich. Privat geht zwei Jahre zuvor ihre Ehe in die Brüche. Sie nimmt wieder ihren Mädchennamen an.

Als ob es die letzten knapp 20 Jahre nicht gegeben hätte, sind sich Jim und Grit sofort wieder sehr nah. Sie verbringen bis zu Jims Abreise einige schöne Tage zusammen und Jim weiht sie in seine zwischenzeitlich weit voran geschrittenen Pläne ein.

Als er nach 6 Monaten sein Unternehmen in Los Angeles betritt, steht sein Entschluss fest. Trotz des immer noch großen Erfolges oder gerade deshalb, wird er sein Unternehmen auflösen. Verkauft werden sollen lediglich einzelne Bestandteile wie beispielsweise die Produktion oder Immobilien. Aus den Erlösen der Verkäufe sollen seine in Teilen langjährigen Mitarbeiter ausgesprochen großzügig abgefunden werden.

Die Marke Jim & Jonathan steht nicht zum Verkauf. Ihr sollte ein ähnliches Schicksal wie der Marke Bogilvy erspart bleiben.

Seine Entscheidung trifft bei seinen Mitarbeitern auf großes Unverständnis, da sie rational nicht zu erklären ist. Es ist die Entscheidung seines Herzens und eine Entscheidung im Sinne seiner Großeltern, die immer etwas Besonderes machen wollten. Etwas, dass der Individualität des Einzelnen Rechnung trägt und nicht nur dem ordinären Geschmack der Masse. Seine Großeltern hatten sich vom Erfolg, wenn auch zögerlich, mitreißen lassen und ihre Ideale Stück für Stück verkauft. Sie konnten ab einem gewissen Zeitpunkt nicht anders, auch aus Verantwortung ihren Mitarbeitern gegenüber.

Jim ist des Gesellschafts- und Wirtschaftssystems der USA überdrüssig. Der tägliche, häufig mit unfairen, schmutzigen Mitteln geführte Kampf gegen Wettbewerber hatte so gar nichts mit dem gemein, was ihm wichtig war. Er will noch einmal neu anfangen. So, wie er es für richtig hält und wo er es für richtig hält. Aber ganz bestimmt nicht in den USA, dem Land der unverbindlichen Freundlichkeiten und Oberflächlichkeiten. Er kann es sich leisten.

Nach der Zerschlagung und des Verkaufs seines Unternehmens, verkauft Jim auch sein Haus am Strand und erwirbt eines der spektakulären „Townhouses“ mit Dachgarten in Berlin-Mitte in unmittelbarer Nähe des Gendarmenmarktes. Denn er will wieder nach Berlin zurück. Und zurück zu Grit.

Angekommen in Berlin beginnt Jim Bogilvy zusammen mit Grit de Baar Pläne zu schmieden. Als Grit das Townhouse das erste Mal betritt, sieht sie im großzügigen Wohnbereich nur ein Bild an den ansonsten noch kahlen Wänden. Sie sieht sich selbst in jungen Jahren, von ihrem Vater vor vielen, vielen Jahren auf die Leinwand gezaubert.

Vom künstlerischen Erbe seiner Großeltern hat Jim Bogilvy nur ausgesuchte Werke mit nach Berlin gebracht. Nämlich genau diese, die ihn schon als Kind besonders fasziniert haben und die auch seinen Großeltern besonders wichtig waren. Die verbleibenden Bilder und Skulpturen der „Bogilvy-Sammlung“ stellt er einem Museum in Los Angeles zur Verfügung. Sie sollen die Erinnerung an seine Großeltern in Los Angeles aufrechterhalten.

In Berlin erinnert Jim auf andere Weise an seine Großeltern. Gemeinsam mit Grit entwickelt er ein Konzept für eine neue Oberbekleidungsmarke. Diese Marke soll den Idealen der Großeltern sehr nahekommen und im besten Fall seinen und den Namen seiner Großeltern tragen: Bogilvy. Der Plan ist, die US-amerikanische Marke zu reaktivieren und neu aufzuladen.